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»Welch wunderbare Mondlichtnacht«

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Aus einem Missverständnis wurde eine »Schicksalsfügung«, sagt Stephan Krawczyk und erzählt, wie er dazu gekommen ist, sich mit Martin Luther zu beschäftigen. Zum Reformationsjubiläum geht der Liedermacher mit anderen Künstlern auf »Luther Lieder Tour«.

Der Anfang beruhte auf einem Missverständnis. Das Auswärtige Amt fragte beim Management von Stephan Krawczyk an, ob er auf einem Kongress in Wittenberg einen 20-minütigen Vortrag über Martin Luther halten könne. Er habe gedacht, erzählt der in Berlin lebende Liedermacher, laut lachend: »Wie kommen die auf mich?« Aber der Mensch wachse mit seinen Aufgaben. Also fuhr Kraw­czyk mit dem ausgefeilten Text gen Wittenberg. Noch heute ist er, der aus einer bildungsfernen Schicht stammt, stolz darauf. In der Lutherstadt angekommen, stellte sich heraus, dass es sich um einen Irrtum handelte. Der Poet war für ein Lied, nicht für den Festvortrag gebucht worden.

Es sagt einiges über Krawczyks gut ausbalanciertes Selbstwertgefühl, dass er diese Anekdote preisgibt und sich selbst am meisten darüber amüsiert.

Stephan Krawczyk. Foto: Nadja Klier

Stephan Krawczyk. Foto: Nadja Klier

Im vergangenen Jahr feierte der zu Silvester in Weida in Thüringen geborene Liedermacher seinen 60. Geburtstag. 36 Jahre Berufserfahrung hätten ihn angstfrei gemacht, erzählt er beiläufig, als wir unsere Fahrräder zum nahen Café in Berlin schieben, in dem wir uns unterhalten wollen. Aus dem Missverständnis in Wittenberg wurde eine »Schicksalsfügung«. »Ich hätte mich sonst nie mit Luther befasst«, sagt Krawczyk. Das wäre bedauerlich, denn einige der überzeugendsten Lieder in seinem Repertoire und auf der 2012 erschienenen CD »Erdverbunden, luftvermählt« drehen sich um den Reformator. Was interessiert den Künstler an Martin Luther? »Wenn ich ein Konzert mache und ihn mit ins Boot hole, zeige ich den Kanon eines höheren Sinnzusammenhangs, der in unserer Zeit fortwirkt. Luther sagt Gott, bei mir heißt es die Allheit, das All. Und da ist Gott auch mit drin. Ich finde es bei den Auftritten schön, wenn ein Wir entsteht, das gemeinsam klingt. Es ist Ausdruck von Sympathie und Friedensliebe. Ich denke, das wollte Luther mit seinen Thesen. Er wollte sinnerfüllte, liebevolle Gemeinsamkeit.«

Zum Reformationsjubiläum im kommenden Jahr geht Krawczyk mit fünf weiteren Künstlern auf »Luther Lieder Tour«; Start war Mitte August auf Schloss Mansfeld nahe der gleichnamigen Stadt, wo Luther seine Kindheit verbrachte. Mit Kritik am offiziellen Jubiläum hält der Sänger trotzdem nicht hinterm Berg. Es werde Luther nicht gerecht. »Es wird wie immer vermasst. Er wird in Verniedlichungen hergestellt. Es gab einen kleinen Luther, da konnte man ein Bierglas draufstellen. Und jetzt gibt es diese Playmobil-Figur. Dieser Riese im Geist wird permanent kleingemacht.« Krawczyk setzt einen Kontrapunkt mit seinem Lied »Ich, Martin Luther«: »Es muss in jeder Zeit mindestens einen geben, sei’s eine Frau, die widersteht, oder ein Mann. Ich bin geboren für die Freude, in Gott zu leben, weswegen ich hier stehe und nicht anders kann.«

Widerstand gehört zu seiner Biografie. 1985 bekam der Sänger, der erfolgreich freiberuflich in der DDR tätig war, Berufsverbot. Fortan konnte er mit seinen kritischen Liedtexten ausschließlich unter dem Dach der Kirche auftreten – wenn den Pfarrern die Sache nicht zu heiß wurde. Im Januar 1988 verhaftete die Staatssicherheit ihn und seine damalige Ehefrau Freya Klier und schob das Paar zwei Wochen später in den Westen ab. Krawczyk hat darüber gesprochen und geschrieben, etwa in den Romanen »Der Narr« (2003) und »Der Himmel fiel aus allen Wolken« (2009). Wie lebt es sich heutzutage als »Symbolfigur der DDR-Bürgerbewegung«? Wieder lacht Krawczyk. »Das ist eine Außensicht auf die Dinge. Ich kann mich nicht damit identifizieren. Ich war nie eine Symbolfigur. Andere haben mich dazu gemacht, weil sie ein Symbol brauchten. Weil sie einen Erklärungsbedarf hatten, keine anderen Worte oder sich nicht die Mühe machten, das Ganze differenziert zu betrachten.« Er winkt ab. »Wenn ich mir Gedanken machte, dass ich als Symbolfigur gelte, würde ich mich verrückt machen.«

Zurück zu Martin Luther, zu dem Menschen, der wie er für seine Überzeugungen einstand. Sein eigenes Glaubensverständnis, sagt Krawczyk, habe sich über die Jahre verändert. »Durch die Erfahrungen, die manchmal so wunderbar waren, dass ich sie mit den Mitteln der Logik nicht erklären konnte. Ich habe versucht, Zusammenhänge wiederzuerkennen, die von der Wissenschaft nach Kräften zerlegt wurden. Sich innerhalb dieser Wurzeln aufgehoben zu fühlen, war eine neue Erfahrung für mich.« Seine Lieder spiegeln diese Verfasstheit mit der »Allheit, diesem Großen und Ganzen« wider, das er als »Unterfutter« seines Selbstverständnisses bezeichnet. Als Künstler sei er gefragt, dem voranzuhelfen. Bei einem Konzert steht man dann vielleicht gedanklich in einer lauschigen Sommernacht mit auf dem Balkon, über sich das All, und spürt einer Verszeile in ihrer Zartheit nach: »Was hat sich Gott da ausgedacht, welch wunderbare Mondlichtnacht.« Im formgewandten Ausdruck von Text und Lied, ist das am Ende eine punktgenaue Landung künstlerischer Unbekümmertheit. Und damit lassen sich viele Missverständnisse aus der Welt schaffen.

Ulrike Mattern


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